Drachen 1. Teil

Veröffentlicht am 7. Dezember 2022 um 01:07

Ich stand mitten in der sibirischen Steppe, vor der zerschlissenen Jurte eines alten Mannes, der in dieser Welt mein Lehrer war. Hier war mein Kraftplatz in der Anderswelt und gewöhnlich saßen wir an einem kleinen Tischchen, tranken gesalzenen Buttertee und redeten. Aber heute war nichts gewöhnlich. Ich fing an zu wiehern, wie mein Krafttier das Steppenpony, bereit mich mit ihm zu verschmelzen, bereit in den Krieg zu ziehen.

Das Zauberboot, lag vor Anker, sein Bug zeigte Richtung Westen und würde die verlorenen Seelen der Drachen, denen ich begegnen werde an einen besseren Ort bringen. Zu einem Planeten im Sternbild des Widder, der den Drachen endlich wieder Körper schenken würde, in die sie hineingeboren werden konnten. Damit sie nicht mehr ihr Dasein als graue Schatten auf der Erde fristen mussten. Als Geister aus einer Zwischenwelt, dazu verdammt die letzte Schlacht zwischen Drachen und Menschen immer wieder erleben zu müssen. Die Schlacht in der die Menschen alle Drachen vernichteten und deren Heimatwelt unbewohnbar machten, so dass ihr Same dort niemals wieder fruchtbaren Boden fand.



Leise hörte ich die Stimme meines Lehrers in meinem Kopf. Wie immer, wenn ich seinen Hut trug.

„Willst du wirklich? Es ging dir doch nicht so gut.“

Ich drehte mich nicht um, um dem leisen Anflug von Spott nachzuspüren, den ich wahrnahm, sondern fing wieder an zu  wiehern, schneller, lauter und rhythmische. Bis Pferd und Reiter, als ein Gedanke, los galoppierten und über das Steppengras flogen, dem Horizont entgegen. Dorthin wo der Häuptling der Drachen auf mich wartete, den ich herausgefordert hatte.

Mit jedem Sprung, den mein Pony machte, erschienen Verbündete links und rechts neben mir. Mitstreiter und Helfer die ich gerufen und auch nicht gerufen hatte, immer und immer mehr und jetzt sah ich sie zum erstenmal.

Wir ritten in einer Angriffslinie, die vom Punkt des Sonnenaufgangs im Osten, bis zum Punkt des Sonnenuntergangs im Westen reichte, wo das Boot auf uns wartete.

War mein Schwur so stark gewesen? War es so wichtig gewesen ihn in Runen zu schreiben und der Anderswelt zu übergeben?

Mein Herz hatte sich entschieden und von dem Augenblick an, von dem ich diese Entscheidung in Worte fassen konnte und den Worten erlaubte aus meinem Herzen heraus in die Welt zu fließen, war ich nicht mehr allein:



Hier stehe ich, mit meinen Füßen auf der Erde und meine Hände berühren den Himmel.

Und aus der Ewigkeit von Raum und Zeit, rufe ich dich,

Unir Asar,

Drachenmutter mit goldenem Herz

und bitte dich im Namen der Menschheit um Vergebung.

Unir Asar

erlaube mir meine Schuld zu begleichen.

Nimm mich in deine Dienste. 

Ich will dir helfen deine heimatlosen, verlorenen Kinder

an einen besseren Ort zu geleiten. 

Ich schwöre in deinen Diensten so lange zu bleiben und nicht zu ruhen, bis alle Seelen deiner verlorenen Kinder, auf einem neuen Planeten, einen besseren Ort zum Leben gefunden haben. 



Erst sah man nur eine riesige Staubwolke, wie von einem gewaltigen Sandsturm. Dann war es soweit und auf einer Linie, so lang wie der Horizont, standen uns die Reiter des Drachenhäuptlings gegenüber. Zwei Linien, gleich lang, warteten auf das Zeichen zum Kampf. 

„Wir lassen euch nicht durch“, schrie ich, „Kommt mit uns, wir geben euch ein Schiff. Die Drachenmutter wird euch führen. Fahrt einfach mit ihr mit.“



Der Drachenhäupting ließ seinen Blick die Reihen der Reiter entlang wandern „Ihr habt nicht die Kraft uns zu besiegen, sagte er und lächelte süffisant „unsere Armeen sind gleich stark“

Etwas in mir mahnte mich zur Vorsicht und aus den Augenwinkeln sah ich, wie sich Drachenreiter vom äußersten Rand ihrer Reihe ablösten und versuchten einen Bogen zu schlagen, um in unseren Rücken zu gelangen.

Verdammt was sollte ich tun?

„Sieh genau hin“,

hörte ich die Stimme meines Lehrers durch den Hut, direkt in meinem Kopf.

„Der Drachenhäuptling hat Angst, von der Drachenmutter verschlungen zu werden. Er fürchtet den Weg zurück in die Zeit und die Sterblichkeit. Er fürchtet seine Freiheit zu verlieren, er ist jetzt so lange tot, dass er sich das Leben nicht mehr vorstellen kann.“

Ich änderte den Fokus meines Blicks, so dass ich ins Unendliche blicken konnte und sah dem Drachenhäuptling direkt in die Seele. Sah wie er, starr vor Schreck, auf das Skelett eines riesigen Dinosauriers mit aufgerissenem Maul blickte. 

Wenn dies die Vorstellung war, die der Drachenhäuptling sich von seiner Muttergöttin machte, so - kannte er sie nicht! Schoß es mir plötzlich durch den Kopf. Und wusste nun was zu tun war.

„Hört ihr Drachenkrieger! “ schrie ich so laut ich konnte, „ist es wahr, dass der Häuptling der Drachen Furcht hat vor seine Mutter zu treten und sich vor ihr versteckt wie ein  Kind? Während ich, ein Mensch, vor ihr kniete und ihr meine Dienste angeboten habe?“

Ich stieg vom Pferd, kniete nieder und rezitierte den Namen der Drachenmutter und viele meiner Verbündeten taten es mir nach. Und in diesem einen, kurzen Augenblick waren wir unverwundbar. Eine goldene Aura umgab einen jeden von uns, undurchdringbar für Drachenzähne. Und als die Drachen dies erkannten wandten sie sich von uns ab und die riesige Kette von Drachenreitern begann sich wie eine Schlange auf das Schiff zuzubewegen.

 

Das wird nicht das Ende der Geschichte sein, dachte ich bei mir, nahm mein Augentuch ab und öffnete die Balkontür, um die stickige Luft aus dem kleinen Wohnzimmer zu lassen.

Ich befürchte es ist erst der Anfang.

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