Den Wald beschützen

Veröffentlicht am 3. Dezember 2022 um 21:06


„So so, du willst also den Wald beschützen und die Erde retten, was?“
Gerade eben noch saß ich an dem kleinen Tischchen, vor der Jurte meines Lehrers, der mich mit einer warmherzigen Geste zu einer Tasse gesalzenem Buttertee eingeladen hatte.

Ich ließ meinen Blick über die endlose sibirische Graslandschaft schweifen, nam meinen ersten Schluck Buttertee und richtete das Wort an meinen Lehrer.
Doch kaum hatte ich ihm den Grund meines Besuches mitgeteilt, schnippste er mit den Fingern und
wir beide saßen auf einer traumversion meines gemütlichen Wohnzimmersofas und schauten fern.
Genau genommen, betrachteten wir eine Erinnerung von mir, wie ich vor ein paar Montaten
Fernsehen schaute. Gerade war ein begeisterter Biologe zu sehen, der herausgefunden hatte, dass
ein völlig unscheinbarer Wüstenstrauch, im Laufe seiner Evolution eine faszinierende Fähigkeit
erworben hatte.
Wurde dieser Strauch von bestimmten Parasiten befallen, so konnte er sich Hilfe holen. Und zwar
erzeugte er einen Geruch, der die Sexuallockstoffe eines Fressfeindes eben dieses Parasiten
immitierte, der dann vom Wind in alle Himmelsrichtungen getragen wurde. Die angelockten
Parasietenkiller fanden nun nicht nur jede Menge motivierte Sexualpartner, sondern auch Nahrung
im Überfluss, was das ganze zu einer Erfolgsgeschichte dieses ansonsten armseelig anmutenden
Wüstenstrauches werden lies, der schon im gesunden Zustand so aussah als wäre er kürzlich
vertrocknet.
Ich hatte die Gelegenheit genutzt, meinem Lehrer einen Roibuschtee anzubieten, den er höfflich
nach dem ersten Schluck stehen ließ und genoss es, mit dem alten Mann einfach zusammen zu
sitzen und fern zu sehen. Es war fast genau so schön, wie unsere Gespräche vor seiner Jurte, nur
konnte ich mir in dem Moment noch keinen Reim machen, auf die Bedeutung von dem was ich sah
Mir wurde kalt im Nacken, als ich die eiserne Notausgangstür in der Ecke meines Wohnzimmers
entdeckte, die mir weisszumachen versuchte, dass sie schon immer da gewesen war. Auf die Tür
war ein großes rotes X geklebt.
„Du hast es sehr gemütlich hier, aber jetzt muss ich leider gehen. Du wolltest wissen wie man zum
Geist des Waldes kommt“, sagte mein Lehrer mit Blick auf die Stahltür.
„Der Geist des Waldes ist der erste Schamane.“
Dann war er verschwunden und ich hörte nur noch seine Stimme in mir, wie immer wenn ich auf
einer Reise seinen Hut trug.
Ein kalter Wind schlug mir entgegen, als ich die Staltür öffnete, „ungemütlich“ war mein erster
Gedanke.
„Der Geist des Waldes ist der erste Schamane.“
Wollte ich das wirklcih, mich mit diesem ganzen Elend beschäftigen? In diesem Augenblick
erschien es mir viel reizvoller, mich wieder aufs Sofa zu setzen und eine leckere Pizza zu bestellen.
„Der Geist des Waldes ist der erste Schamane.“ Was soll dieser Satz bedeuten?
fragte ich mich und trat durch die Tür.
Vor mir lag eine öde, karge Industrielandschaft, in der es nur noch vereinzelt Bäume gab. In der
Ferne rauchten die Schlote der Fabriken und vor mir breitete sich eine tote Hügellandschaft mit
einzelnen Bäumen aus, die aus dem nackten Lehmboden wuchsen.
Hier stand ein Mann, sehr groß. Mit gebeugtem Rücken und kurzem Stoppelhaar. Um den Körper,
trug er einen grob zusammengenähten Mantel aus „allerlei Rauh“, wie es in einem grimmschen
Märchen heißt.
Nichts an ihm lud mich ein zu ihm zu kommen und doch wußte ich, dass er der erste Schamane war
und ging auf ihn zu. Aus der Nähe sah ich, dass seine Stoppelhaare Baumstümpfe, gefällter Bäume
waren, die aus seinem Kopf wuchsen. Und sein Pelzmantel aus den blutigen, grob
zusammengenäten Fellen all der Tiere bestand, die von den Menschen für den Profit abgeschlachtet
wurden.
Jetzt verstand ich, dass der Geist des Waldes vor mir stand, der mit dem Geist des Ersten

Schamanen verschmolzen war. Und dass diese Verschmelzung heilig war und ihr Impuls vom Geist
des Waldes ausging.
Ohne mich zu begrüßen, fing er an zu sprechen, laut und eindringlich und ohne mich anzuschauen,
als wenn er nicht zu mir sprach, sondern zu allen Menschen auf der Erde. Ich spührte die Erwartung
in ihm, seine Worte an all die Menschen weiterzugeben, die hier stehen und ihm zuhören sollten,
aber es nicht taten.
Die Rede des Ersten Schamanen:
„Brüder und Schwestern. Die Welt schläft,
während die Maschinen wach sind
und unsere Lebensgrundlagen zerstören.
Der Geist des Waldes stirbt
und niemand auf der Erde hat mehr die Kraft,
die Maschinen aufzuhalten.
Deshalb geht auf windige Plätze
und vereinigt euch dort im Geiste mit mir,
dem Ersten Schamanen,
dem Zeitpunkt als der Geist des Waldes bereit war,
sich mit dem Geist der Menschen zu vereinen.
Und bittet den Geist des Waldes darum,
diese Verbindung noch nicht zu lösen.
Aber gesteht euch ein, dass ihr ohnmächtig seid.
Und erbittet, gemeinsam mit mir,
dem Geist des Ersten Schamanen,
Hilfe, von den Sternen.
Tut es bald und tut es zahlreich.
Ich werde euch dabei unterstützen,
sobald ihr mit mir verschmolzen seid."

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